Noch die Generation der 80er und 90er Jahre ist zu weiten Teilen in einem Bewusstsein aufgewachsen, dass man nicht alles glauben sollte was in den Medien verbreitet wird. Auch der bekannte Musiker Georg Danzer kennzeichnete beispielsweise mit seinem 1978 veröffentlichten Lied „I bin a Kniera“ den typischen „Untertanen“ mit dem Satz: „I glaub olles, wos in da Zeitung steht, vor jedn Doktatitl ziag i mein Huat (...)“. Doch diese „demokratischen Freiheiten“, die zu jenen Zeiten natürlich auch nicht immer so real waren, sind heute einem radikalen Bruch zum Opfer gefallen. Das Gegenteil ist angesagt!
Auch in der Schule wurde der oben genannten Generation zu großen Teilen eingetrichtert, man dürfe nicht einfach Behauptungen aufstellen, ohne Beweisführung und Argumentation, man müsste Quellen vergleichen und Hintergrundinformationen bzw. die „Vorgeschichte“ eines Ereignisses berücksichtigen. Auch dieser zwar teilweise verstümmelte, doch ansatzweise demokratische Stil der Diskussion und Debatte ist offenbar entsorgt worden. Denn heute zählt meist nur noch, ob man auf der „richtigen Seite“ steht, also ob man die Standpunkte der Herrschenden und in besonders konzentrierter Ausdrucksform, ihrer Regierung und Verwalter, teilt oder nicht. Demokratische Diskussion und Debatte ist „out“. Wenn „debattiert“ wird, dann höchstens verschiedene Aspekte der „richtigen“ Meinung. Es soll also Konsens von oben hergestellt werden, eine Tendenz die der amerikanische Publizist und Sprachwissenschaftler Noam Chomsky als „Konsensfabrik“ charakterisierte. Trotz dem viel beschworenen „21. Jahrhundert“ in dem wir leben, wurden wir in diesen Fragen in die Zeit der klerikalen Herrschaft und der Monarchie zurückgeworfen, nur dass diese neue Religion nicht aus Gotteslehren, sondern „richtigen Meinungen“ besteht. Die dagegen verstoßen sind sozusagen „Gotteslästerer“. Das perfide dabei ist, dass heute den Kritikern dieser gesellschaftlichen Entwicklung und der medialen Berichterstattung „autoritäre Züge“ zugeschrieben werden, obwohl gerade die Restauration feudaler Herrschaftsinstrumente im Gegensatz zu demokratischer Meinungsdebatte als „autoritär“ zu bezeichnen wäre.
Gewerkschaftsbewegung oder Almosenpolitik?
Das „Skandal-Video“ Nehammers brachte auf den Punkt, wie die Debatte rund um Soziales und Arbeitsrecht derzeit geführt wird: Wie viele „Almosen“ sollen den ärmeren Teilen der Bevölkerung zukommen? Das Schlagwort der Debatte ist die „warme Mahlzeit“ für „die Kinder“. Diesen im Grund feudalen Ansatz der Diskussion darüber, wie viel die „Untertanen“ denn dieses Jahr bekommen sollten, verfolgt auch die ÖGB und SPÖ-Führung in der vor Kurzem begonnenen Herbstlohnrunde. Es ist bezeichnend, dass die ÖGB-Spitzen beinahe bedauern „so hohe“ Forderungen stellen zu müssen. Nun demonstrierte auch Christian Knill, Obmann des Fachverbandes Metalltechnische Industrie, seine Position: Lieber akzeptiere man einen Arbeitskampf, als reale Lohnerhöhungen abzuschließen. Warum sagt er das? Weil klar ist, dass der „Arbeitskampf“ des ÖGB mehr einen Symbolcharakter als einen widerständigen Kampfcharakter trägt und vor allem nicht das Ziel hat, tatsächlich die Interessen der Arbeiter und Angestellten durchzusetzen. Über Almosenpolitik und „Verantwortungsbewusstsein der Reichen“ kann man heute ausgelassen debattieren, über die unterschiedlichen Interessen von Arbeiterklasse und Kapital und die daraus resultierenden Aufgaben der Gewerkschaftsbewegung hingegen nicht.
Digitalisierung und Überwachung als Erlösung?
Ein weiteres Thema wo es offenbar nur eine „richtige“ Meinung gibt ist die Digitalisierung, vor allem die Digitalisierung des Privatbereichs. Dass innerhalb der Produktion die Digitalisierung eine große Erweiterung und Erleichterung von Produktionsverfahren und -abläufen darstellt, ist zu weiten Teilen richtig. Hingegen nicht zwischen Produktionssphäre und Privatsphäre der Bevölkerung zu unterschieden, stellt einen enormen Einschnitt in die Rechte des Volkes dar. Die auf der einen Seite äußerst dumme, auf der anderen Seite jedoch zutiefst antidemokratische Antwort auf diese Frage lautet meist: „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten.“ Die Digitalisierung des Privatbereichs einseitig als unabdingbaren Fortschritt und „Erleichterung“ des Alltags zu propagieren, ist bestenfalls naiv. In der Regel hilft diese Aussage aber nur, den Überwachungsapparat und Datensammlung voranzutreiben. Es soll nicht vergessen werden, dass die unbedingte Durchsetzung einer flächendeckenden digitalen Bevölkerung („Jedem sein mobiles Endgerät“) als Teil der modernen Kriegsführung der USA eingeführt wurde. Es ist bezeichnend, dass der ehemalige NSA und CIA-Mitarbeiter Edward Snowden nach seinen Enthüllungen über Massenüberwachung von zahlreichen Politikern und Medien zum „Terroristen“ erklärt wurde. Spätestens heute, wo die annehmbare Meinung immer enger wird, ist es im Interesse der breiten Massen sich gegen den „sanften Zwang“ der Digitalisierung des Privaten zu stellen.
Die Kämpfe im Nahen Osten.
Betrachtet man die mediale Berichterstattung rund um den Angriff des palästinensischen Widerstands auf Israel, so wird recht schnell klar, was die „richtige“ Meinung in dieser Frage sei: die Palästinenser, die seit Jahrzehnten aus ihrem Land vertrieben, enteignet und entrechtet werden, hätten kein Recht auf Verteidigung und Widerstand. Israel, das mit Milliarden durch die USA und andere Imperialisten unterstützt wird, die eigene Bevölkerung niederhält und die Palästinenser als „Tiere“ bezeichnet, hätte jedes Recht des Angriffs und der „Vergeltung“. Wer etwas dagegen sagt, steht de facto schon mit einem Fuß im Gefängnis und unterstütze Terroristen. Schallenberg, Außenminister des „neutralen“ Österreichs, sagte sogar im Ö1-“Journal zu Gast“: „Jedes zivile Opfer im Gazastreifen ist der Hamas zuzuschreiben“. Israel hat demnach also einen Freibrief für die Bodenoffensive und das Aushungern im Gazastreifen. Wer sich in dieses immer enger werdende Korsett der akzeptierten Meinungen und der medialen Berichterstattung einreiht, unterstützt den zunehmenden Abbau demokratischer und sozialer Rechte in Österreich, aber auch der unterdrückten Völker und Nationen weltweit.
Bildquelle: 13-09-01-wien-RalfR-04, by Ralf Roletschek, CC BY 3.0 Deed
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