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Jennifer M.

Einer für alle, alle für … - Der Nehammer-Sager


Seit Tagen ist Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in aller Munde. Grund dafür ist ein kürzlich in den Sozialen Medien veröffentlichtes Video, das den Kanzler zeigt, wie er sich über die Teilzeitquote von Frauen und einer angeblich nicht vorhandenen Armut in Österreich ärgert. Dem vorangegangen sei eine Diskussion mit „Linken“, die vermeinten, dass die österreichische Bevölkerung immer ärmer werde und Kinder zum Teil kein warmes Essen auf den Tisch bekämen.



Zur Kritik an Nehammer und deren Gehalt.


Schnell hagelte es „Kritik“ von allen Richtungen der parlamentarischen Parteien und diversen Institutionen wie den Grünen, dem ÖGB, SPÖ-Chef Babler uswusf... Bei all den Kommentaren, Memes und dem „Shitstorm“ im Netz wird der Kanzler nun vor allem als „kaltherzig“ präsentiert. Die Äußerungen des Kanzlers, die auf der einen Seite natürlich herablassend und verhöhnend sind, folgen aber auf der anderen Seite durchaus (wenn auch nicht so offen formuliert) dem allgemeinen Kurs der Regierungslinie. Zu spüren sind die Auswirkungen der Politik unter Schwarz/Grün für die größten Teile der Bevölkerung ohnehin seit Beginn der Regierungsperiode, auch ohne deren publik gewordenen hämischen Aussagen über das „gemeine Volk“.


Wenngleich Nehammers Äußerungen und seine weitere Argumentationskette mehr als realitätsfern sind, so ist die Kritik der Opposition und der anderen Parteien und Institutionen nicht weniger beachtenswert. Die ÖGB-Führung reagierte beispielsweise „schockiert“ über die Äußerungen des Kanzlers, da „es ein entscheidender Beitrag zur Krisenbewältigung durch die Sozialpartnerschaft war, insbesondere durch Maßnahmen wie die Kurzarbeit“. Richtig ist, dass die Kurzarbeit ein entscheidender Beitrag zur Krisenbewältigung war. Aber nicht für die Arbeiter und das Volk, sondern für die Krisenbewältigung der Herrschenden, die versuchten ihre vor allem mit Maßnahmen wie der Kurzarbeit abzufedern, zu Lasten der Bevölkerung. Der Bevölkerung blieb mit der Kurzarbeit nichts weiter als ein Anstieg der Arbeitsintensität und Lohnkürzung! Das sieht man auch daran, dass die Kurzarbeit weiterhin zur „Abfederung“ von Krisen eingesetzt werden soll.


Die SPÖ mit ihrem Vorsitzenden Babler schlägt genauso laut die (Wahl)Trommeln und sichtet hier eine gute Chance, um sich als „sozialer Gegenpol“ zur „Kaltherzigkeit“ der ÖVP zu präsentieren. Mit seiner Stellungnahme zum Video warnt Babler davor, was mit einer drohenden schwarz-blauen Regierung blühen könne. Dazu meint er, dass der Kanzler heute schon ausrichte, „dass die Löhne nicht erhöht werden sollen, morgen die Pensionen nicht erhöht werden und übermorgen, dass beim Gesundheitssystem gespart wird.“ Andreas Babler vergisst wohl die antisozialen „Errungenschaften“ der SPÖ aus vergangenen Regierungszeiten, an die hier erinnert werden sollte: Erster Vorschlag zur Einführung der Möglichkeit des 12-Stunden-Tages und der 60-Stunden-Woche, Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters, Spitalsreformen auf Landesebene zu Lasten der Patienten, uvm. Sich jetzt in Worten auf die Seite der Bevölkerung zu stellen und sich über die Aussagen des Kanzlers zu mokieren ist ein Täuschungsmanöver, welches wohl schon als Wahlstimmenfang gesehen werden muss.



Der grüne Koalitionspartner als „soziales Gegenstück“?


Äußerst heuchlerisch ist aber die Reaktion der Grünen. So zeigte sich die Grüne Frauensprecherin Meri Disoski „schockiert“, denn „dass so viele Frauen in Teilzeit arbeiten müssten, sei dem Umstand geschuldet, dass die ÖVP über Jahrzehnte den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen blockiert habe“. Dieser Kommentar zeugt wohl gleich einer Farce. Berücksichtigt man die Nationalratsabstimmungen der vergangenen Monate der Grünen, so zeigt sich, dass in wesentlichen Fragen sehr wohl denselben Kurs wie ihre schwarzen Regierungspartner fahren. So stimmten auch die Grünen gemeinsam mit der ÖVP gegen einen Rechtsanspruch auf kostenlosen ganztägigen Kinder-Bildungsplatz, gegen das Recht auf ein warmes Mittagessen zur Abschaffung der Kinderarmut, gegen die Senkung der Lohnsteuer und den Familienbonus für jedes Kind. Dementsprechend müsste sich die Kritik der Grünen Gewerkschafterin Karin Stanger auch gegen ihre eigene Parteilinie richten, wenn sie gegen die Aussagen Nehammers trommelt und vermeint, dass es „absolut weltfremd und beschämend sei, was der Kanzler da von sich gibt. Frauen arbeiten in Teilzeit, weil sie die unbezahlte Arbeit in diesem Land erledigen! Kinder betreuen, ältere Menschen pflegen, Haushalt. Frauen sind deshalb viel häufiger von Altersarmut betroffen.“ An dieser Stelle ist auch die Nationalratsabstimmung der Grünen gegen bessere Pensionsanrechnung von Kindererziehungszeiten zu nennen.



Braucht es Almosen oder Lohnerhöhung?


Wenngleich nicht von allen Parlamentsparteien herablassende Äußerungen gegenüber dem Volk an die Öffentlichkeit kommen, ist doch spätestens seit der Verschärfung der Krise mit Corona-Maßnahmenpolitik und Inflationspolitik klar, dass die Krise der Kapitalisten durch eine Senkung des Lebensniveaus breiter Teile der Massen abgefedert werden soll. Die Anhebung der Preise auf alle Güter, besonders jener des täglichen Gebrauchs, wurde von ihnen allen mitgetragen, auch von den Sozialpartnern. Denn eine Anhebung des Preises der Arbeitskraft, also eine Lohnerhöhung, wurde nicht als so selbstverständlich erachtet wie beispielsweise jene der Waren in den Supermärkten. Ein wirklicher „Lohnausgleich“ dient nicht dem Interesse der Herrschenden und so auch nicht den Sozialpartnern. Der Bundeskanzler zeigte sich in seiner Verteidigungsrede standhaft und meint, die Eltern stünden in der Fürsorgepflicht ihrer Kinder. Das ist aber eine reine Scheinargumentation, denn er argumentiert als würde es darum gehen, dass der Staat zum „Wohltäter“ werde, also so etwas wie die Almosen-Politik unter einer Klerikalen Herrschaft. Erstens wird der Staat zu absolut größten Teilen durch die Arbeiter und das Volk finanziert, also sind es keine „Almosen“, sondern nur das was durch die Steuern der Bevölkerung hereinkommt. Zweitens ist die Frage des Familieneinkommens eine Frage der Löhne und solange diese durch die Inflation gesenkt werden, wird der Erhalt des Lebensniveaus der Familien als dringendes gesellschaftliches Anliegen auf die Tagesordnung gesetzt.


Die „Entrüstungen“ und „Empörungen“ diverser Parteien und Institutionen darf nicht auf den Leim gegangen werden darf, denn in naher Zukunft läuten auch schon wieder die Wahlglocken. Klar muss jedoch sein, dass solche Videos und Aussagen diverser Politiker, und in diesem Fall natürlich besonders beachtend weil sie den Bundeskanzler betreffen, doch auch immer einen kleinen Ausschnitt über die Persönlichkeit der Protagonisten zeigen. Alle die gehofft hätten, dass Nehammer doch eine weniger „kaltherzige“ und aggressive Politik verfolgt wie sein Vorgänger Sebastian Kurz, werden spätestens jetzt klarer sehen. Diese Situation eignet sich jedoch für die Arbeiter, Angestellten und andere Teile des Volkes hervorragend, ihren eigenen Zusammenschluss zu fördern und sich nicht von vielerlei „großen Worten“ blenden zu lassen.





Quellen: ORF, derStandard, KleineZeitung, Oberösterreichische Nachrichten

Bildquelle: EVP-Gipfel, 10. März 2022, Paris - Europäische Volkspartei - commons.wikimedia

CC BY 2.0

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