Rund eine Woche ist es her, dass Bundespräsident Van der Bellen dem FPÖ Vorsitzenden Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben hat. Eine Welle des Aufschreis ging durch die internationalen (hier besonders die deutschen) und nationalen Monopolmedien, wie man es sonst nur von größeren Korruptionsskandalen oder ähnlichem kennt. Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer zeigen sich nicht unzufrieden und hoffen auf eine Stabilisierung des „Wirtschaftsstandorts“, bei gleichzeitiger Einmahnung von Sparvorgaben. Nun soll die Bevölkerung mit diversem Partei-Geplänkel bei der Stange gehalten werden: Wer war Schuld am Platzen der geplanten Dreierkoalition? Wird die „liberale Demokratie“ in Österreich nun abgeschafft?… Welchen Standpunkt sollten die Arbeiterklasse und die fortschrittlichen, demokratisch, sowie revolutionär gesinnte Kräfte einnehmen?
Versuch der Stabilisierung und die Zersetzung des österreichischen Imperialismus.
Manche Kräfte in der außerparlamentarischen linken Bewegung mirakeln vor allem über den Grund, warum die Herrschenden die SPÖ „nicht in der Regierung haben wollen“ und kommen dabei mitunter auf holprige Abwege. Eine der Thesen dabei ist, dass die herrschende Klasse in Österreich, die Bourgeoisie, keine Reformen und Zugeständnisse machen möchte. Das ist einerseits nicht unrichtig, zumal die SPÖ, um nicht noch weiter an Einfluss und Stellung zu verlieren, bestimmten Verschlechterungen oder Einsparungen schwer zustimmen könnte (wobei schon die Regierungsverhandlungen gezeigt haben, wie viele der Wahlversprechen sehr schnell unter den Tisch gefallen wären), wie beispielsweise der Erhöhung des Pensionsantrittsalters auf 67, oder der weiteren, umfassenden Demontage der Sozialpartnerschaft und damit einhergehender Bedeutungsverlust der Gewerkschaften. Der grundsätzliche „Irrtum“ ist jedoch, dass die SPÖ nicht als Partei des österreichischen Monopolkapitals verstanden wird, sondern als „Arbeiterpartei auf falschem Weg“. Die herrschende Klasse, die Bourgeoisie, ist kein einheitlicher „Block“, sondern auch hier gibt es graduell unterschiedliche Interessen, die sich in den verschiedenen Fraktionen und im Parlament in den verschiedenen parlamentarischen Parteien ausdrücken. Für eine lange Zeit in der jüngeren Geschichte war die SPÖ die führende Fraktion der österreichischen Bourgeoisie, die Schlüsselindustrien (verstaatlichte Industrie, etc…) waren am stärksten durch die SPÖ besetzt. Alleine in den 50 Jahren zwischen 1970 und 2020 stellte die SPÖ 40 Jahre den Bundeskanzler. In den letzten Jahrzehnten war es also hauptsächlich die SPÖ, welche den politischen Kurs des österreichischen Kapitals bestimmte und die führende Fraktion der Kapitalistenklasse repräsentiert hat. Seit den 90er Jahren fand jedoch ein Umbruch statt und die Sozialdemokratie, welche stark mit der Großindustrie und besonders deren ehemals verstaatlichtem Teil verbunden ist, befindet sich heute in einer tiefen Krise. Damit ist diese politische Krise der Sozialdemokratie, die mit einer ökonomischen Krise besonders im industriellen Bereich zusammenfällt, auch Ausdruck einer Zersetzung des österreichischen Imperialismus. Das bedeutet, das österreichische Kapital (insbesondere die traditionellen Schlüsselindustrien) kann nicht mehr weitermachen wie bisher. Ausdruck dafür sind auch die „Alarm-Meldungen“ der letzten Wochen, wie beispielsweise jene des Präsidenten der Industriellenvereinigung, Georg Knill: „Wir nehmen am Weltwachstum nicht mehr teil. Wir haben uns aus dem Markt herausgepreist.“ (1) Weiter meint er: „Viele der handelnden Personen haben Marktwirtschaft noch nicht persönlich erlebt (…) Sie waren immer in geschützten Märkten oder protektionierten Bereichen“. Die Träume einer Dreier-Koalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS sind nicht am „Durchregieren der Wirtschaft gegen die SPÖ“ gescheitert, sondern an der enormen Instabilität dieser möglichen Regierung für die Bedürfnisse des Kapitals. Einerseits der Faktor einer Dreier-Koalition, welche insgesamt mehr Instabilität birgt als eine Zweier-Koalition und auch bspw. in Deutschland keine ganze Legislaturperiode schaffte. Andererseits aber auch der Faktor, dass sie sich hauptsächlich aus den „Verliererparteien“ ÖVP und SPÖ, welche großen Unmut innerhalb der Bevölkerung gegenüberstehen, zusammengesetzt und daher weitaus mehr Probleme damit gehabt hätte, in großkoalitionärer Manier Milliardenkürzungen und Verschlechterungen durchzuboxen. Nun kommen politische Fraktionen hoch, die zumindest die Tendenz haben andere Optionen zu versuchen, um aus der politischen und ökonomischen Krise herauszukommen. Es ist sozusagen ein „Notausgang“ für die Herrschenden, ein Versuch der Stabilisierung innerhalb einer allgemeineren, nationalen und internationalen Krise. Die FPÖ ist keine „neue Kraft“ innerhalb der parlamentarischen Parteien. Durchaus neu ist aber, dass diejenige Fraktion der Herrschenden, welche durch die FPÖ repräsentiert ist, zur Kanzlerpartei wird und die Bedingungen für Koalitionsverhandlungen diktieren kann.
Krise der Sozialdemokratie und ihrer „linksliberalen“ Gefolgschaft.
Die Sozialdemokratie und mit ihr auch der ÖGB als eine ihrer wichtigsten Institutionen, scheint nach wie vor paralysiert über das Ende der Koalitionsverhandlungen und die Möglichkeit Herbert Kickls als nächstem Kanzler. Und mit ihr scheint auch die Blase des „Linksliberalismus“ paralysiert zu sein. Gemeinsam haben sie, dass sie als Avantgarde einer Art von „Kickl-Verhindern-Kampagne“ auftraten und dabei schlussendlich vor allem eins bewirkten: die FPÖ weiter zu stärken. Der sogenannte „Linksliberalismus“ und seine diversen Organisationen und „revolutionären“ Vertreter traten in den letzten Jahren in zahlreichen Fragen als Verteidiger einer bestimmten Fraktion der Bourgeoisie im Staatsapparat auf (bspw. durch die Wahlhilfe für Van der Bellen und Babler, oder auch durch ihre Verteidigung antidemokratischer Corona-Maßnahmen,…). Damit isolierten sie sich vom Zorn und den gerechtfertigten Forderungen der Massen und überließen das politische Feld der Kritik an antidemokratischen, sowie kriegshetzerischen Maßnahmen den Freiheitlichen. Diese Art einer „Kickl-Verhindern-Kampagne“ nun weiterzuführen, ohne den Hauptschlag gegen die hauptsächlichen politischen Agenden der EU und der Herrschenden in Österreich, die Kriegstreiberei und die Angriffe auf soziale und demokratische Rechte zu richten, wird diese Isolation noch weiter vorantreiben. Für alle, die tatsächlich für soziale Verbesserungen und die Interessen der Arbeiterklasse und des Volkes kämpfen wollen, muss diese Erfahrung eine Lehre sein. Jene Fraktion der Bourgeoisie, repräsentiert durch SPÖ und Grüne (und teilweise auch die ÖVP), gegen die FPÖ zu verteidigen, schwächt schlussendlich die fortschrittlichen Kräfte des Volkes, isoliert sie und opfert die Interessen der Unterdrückten für die zwergenhafte Teilnahme am Fraktions- und Richtungskampf innerhalb der Bourgeoisie.
Wenn sie aus ihrer Paralyse aufgewacht ist, wird die SPÖ in ihrer Oppositionsrolle versuchen, sich in der einen oder anderen Frage als „Verteidigerin der sozialen Rechte“ und „Vorkämpfer der Arbeiter“ zu inszenieren. Das wird ihr zwar vielleicht in einzelnen Fällen gelingen, aber insgesamt ist nicht davon auszugehen, dass die Sozialdemokratie (auch aufgrund ihrer eigenen tiefgehenden Krise und dem zunehmenden Hegemonieverlust) länger andauernde und breitere politische Massenaktivitäten entwickeln wird. Doch sie wird vor allem versuchen ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen und sich gegen den Bedeutungsverlust der Sozialpartnerschaft stellen. Für die fortschrittlichen Kräfte des Volkes bedeutet das, dass sie sich auch gegen diese Inszenierungsversuche der Sozialdemokratie stellen müssen, denn es ist mitunter die Sozialdemokratie, welche als Fraktion der Herrschenden diese Lage zu verantworten hat.
Die FPÖ hat vor allem durch ihre oppositionelle Haltung zum hauptsächlichen politischen Programm der EU und ihre ausgeprägte demokratische und soziale Demagogie große Zugewinne an Wählern verzeichnet. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus die Krise der Parteien der „Großen Koalition“, welche die Wählerströme noch einmal begünstigte. Nun wird die FPÖ als Kanzlerpartei, falls diese Regierung zustande kommt, durchaus an ihren Versprechungen geprüft werden, was die Instabilität dieser möglichen Regierungskonstellation begünstigt. Beispielsweise hat die FPÖ für niedrigere Energiepreise geworben, für die Verbesserung der Lage der Klein- und Mittelbetriebe, als auch der sozialen Absicherung (bspw. Erhalt von Krankenhäusern). Selbst die bürgerlichen Wirtschaftsprognosen gehen jedoch davon aus, dass die Energiepreise 2025 massiv steigen werden, die Insolvenzen weiter zunehmen und die Arbeitslosigkeit steigen wird. Bei ausschließlich „ausgabenseitiger Budgetsanierung“ und einem milliardenschweren Sparplan für die nächsten sieben Jahre wird ein Großteil dieser Versprechungen nicht eingehalten werden können, was auch zu einer Verschärfung der Widersprüche zwischen den Massen und einer potenziellen FPÖ-ÖVP Regierung führen wird. Die fortschrittlichen Kräfte müssen sich vor allem gegen reaktionäre Angriffe auf soziale Rechte, insbesondere Kürzungen und weitere Aushöhlung von Rechten der Arbeiterklasse richten. Gleichzeitig ist es notwendig all jene Forderungen, welche auch Teil der FPÖ-Kampagnen waren, wie Austritt aus Sky-Shield, Verteidigung der Neutralität, Aufhebung der imperialistischen Sanktionspolitik, keine weitere NATO-Annäherung etc. ... konsequent zu verteidigen und je nach politischer (Nicht-)Umsetzung die Schaumschlägerei und Demagogie der FPÖ zu entlarven.
Ein Versuch relative politische Stabilität für reaktionäre Maßnahmen zu generieren: Wehrt euch und kämpft!
Zusammenfassend muss festgehalten werden: Das Ziel der Herrschenden bei der letzten Nationalratswahl im September 2024 war es, eine relative politische Stabilität für die Interessen des Kapitals herzustellen. Nach dem Platzen der Verhandlungen für eine Dreier-Koalition soll nun eine potenzielle FPÖ-ÖVP Regierung dieses Ziel einer stabileren Koalition herstellen, um Sparmaßnahmen durchzusetzen und dem österreichischen Kapital neue Handlungsräume zu ermöglichen, bzw. alte zurückzugewinnen. Im ersten Versuch eine neue Regierung zu bilden, wäre zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs eine Dreier-Koalition eingesetzt worden, in der nun realisierten Variante wird zum ersten Mal in der Geschichte Österreichs nicht eine der alten Fraktionen der Bourgeoisie (SPÖ, ÖVP) Kanzlerpartei. Damit zeigt sich ein Umbruch in der Zusammensetzung und Gewichtung der Fraktionen der Bourgeoisie und dieser Umbruch leitet offenbar eine Änderung darin ein, wie sich die Fraktionen der Bourgeoisie in Österreich strategisch zusammensetzen. Sich gegen eine „FPÖ-Kanzlerschaft“ stellen zu wollen ist legitim, aber nicht als Anhängsel der SPÖ, sondern im Kampf um die Mobilisierung und Stärkung der Kräfte des Volkes, im Kampf gegen die Interessen und die Herrschaft des Kapitals.
(1) sn.at
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