Immer wieder werden von Seiten der universitären Forschung, der bürgerlichen Parteien und diverser System-Medien neue Theorien über die gesellschaftlichen Verhältnisse entworfen. Besonders ist hierbei das Verhältnis der Menschen einer Gesellschaft zueinander: die Klassenfrage. Unter diversen Schlagwörtern wird versucht diese neu zu definieren, wie mit dem „Schichtenmodell“, dem sogenannten „Prekariat“, oder auch durch rassistische Kriterien. Was ist nun mit der Arbeiterklasse, gibt es sie noch und wer ist sie?
Fragt man einen Arbeiter so gibt es meist keine zögerliche Antwort und die Existenz der Arbeiterklasse ist vollkommen klar und natürlich. Anders verhält es sich mit diversen Soziologen, „Neomarxisten“, und so ziemlich allen Systemparteien im Parlament. Hervorzuheben ist hierbei die „alte Arbeiterpartei“, die Sozialdemokratie, die mit Veronika Bohrn-Menas 2018 erschienenem Buch „Die neue ArbeiterInnenklasse“ versucht, diese „neu“ zu definieren. Wohl auch deshalb, weil sich die „alte Arbeiterklasse“ immer weiter von der SPÖ abwendet.
Die Definition der Arbeiterklasse kommt von Karl Marx und ist, in Abgrenzung zur heutigen Soziologie, nicht zuletzt eine Frage der Stellung der Menschen innerhalb des Produktionsprozesses. Die Arbeiterklasse macht aus, dass sie ihre Arbeitskraft verkaufen muss, aber mehr Wert produziert, als sie selbst dem Unternehmer, bzw. Kapitalisten kostet. Das heißt der Unternehmer, bzw. Kapitalist erziehlt Profit aufgrund der Arbeit anderer. Das nennt man Ausbeutung. Sehen wir uns heute die enormen Werte, die Höchstprofite der kapitalistischen Produktion an, so ist schwer vorzustellen, dass es keine Arbeiterklasse mehr geben könnte. Es stimmt natürlich, dass es im Verlauf der Jahrzehnte zu vielen Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse gekommen ist, aber ihre Grundlage, die kapitalistische Produktion, ist nicht verschwunden. Im Gegenteil, sie wurde ausgeweitet und vertieft. All jene Theorien die versuchen die Existenz der Klassen zu widerlegen, haben hauptsächlich den Zweck, das Verhältnis der Klassen zu verdecken: dass es unterschiedliche Interessen, ja sogar entgegengesetzte Interessen zwischen Arbeiter- und Kapitalistenklasse gibt. So zum Beispiel das Modell der „sozialen Schichten“: Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht. Es wird zwar akzeptiert, dass es verschiedene „soziale Lagen“ in einer Gesellschaft gibt, aber ihr Verhältnis zueinander, ihre Wurzel in der Produktionsweise einer Gesellschaft wird unter den Tisch gekehrt. Es ist ein Modell, dass sich gegen die Interessen der Arbeiterklasse richtet, weil es ihre eigenständigen Interessen gegen die Ausbeuterklasse, die Kapitalisten, leugnet.
Anders ist die Theorie der „neuen Arbeiterklasse“ von Veronika Bohrn-Mena, Publizistin und „Interessensvertreterin“ der Gewerkschaft GPA. Hier wird die „heutige“ Arbeiterklasse mit dem „Prekariat“ gleichgesetzt. Arbeiterklasse wären all jene, die einer „atypischen“ und „prekären, also unsicheren Arbeit“ nachgehen (1). Bohrn-Mena ersetzt das Kriterium der Stellung der Arbeiter im Produktionsprozess mit dem Kriterium der Höhe des Lohns und der Diversität an Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen. Laut dieser Theorie sind die Arbeiterklasse Praktikanten, schlecht bezahlte Akademiker, Leiharbeiter, Scheinselbständige und freie Dienstnehmer. Ob diese Berufsgruppen das auch selbst so sehen sei hier dahingestellt. Die wissenschaftliche Definition von „Arbeiterklasse“ wird mit all jenen getauscht, denen es „schlecht geht“. Mit dieser Theorie soll der wirklichen Arbeiterklasse das gemeinsame politische Interesse, nämlich die Aufhebung der kapitalistischen Ausbeutung, genommen und durch eine undefinierte Masse an „Armen“ und „gefühlt schlechter gestellten“ ersetzt werden. Der Arbeiterklasse, den Industriearbeitern, den Arbeiter im Handel und Vertrieb, in Produktionsbetrieben, Gesundheitseinrichtungen, etc. wird ihre Existenz als Arbeiter gerade deshalb abgesprochen, weil sie noch Kollektivverträge und gewisse Arbeitsrechte haben. Diese Theorie bringt vor allem mit sich, dass die „neue Arbeiterklasse“ kein eigenes politisches Subjekt ist, das für seine Interessen und Rechte kämpfen kann, sondern eine „arme Schicht“, die jemanden braucht der sie „vertritt“ - und das wäre nach der Ansicht Bohrn-Menas wohl die SPÖ. Die SPÖ als Systempartei, als jene Partei die in der zweiten Republik am längsten in der Regierung war, möchte natürlich keine Arbeiterklasse, die sich ihrer gemeinsamen Interessen und Ziele bewusst ist. Sie möchte eine „neue Arbeiterklasse“, deren Bedingungen so schlecht sind, dass sie sich nur schwer organisieren und kämpfen kann. Nicht zuletzt war es auch die Sozialdemokratie an der Macht, die genau jene Arbeitsverhältnisse eingeführt und vorangetrieben hat, die sie unter schwarz-blauer Regierung anprangerte.
Dem Schichten-Modell, als auch Theorien wie der „neuen Arbeiterklasse“ und dem „Rückgang der Industriearbeiter“ muss man vor allem die Realität entgegensetzen. Ein erstes Rückerinnern an die Industriearbeiterschaft, obwohl diese den Großteil der Werte schafft, war mit Sicherheit der Kampf gegen die Schließung von MAN Steyr und die offensichtliche Kraft, die eine Belegschaft von tausenden Arbeitern in sich trägt. Hierzu nur ein paar wenige Beispiele der Industriearbeiter, als auch der Großbetriebe, die einen beträchtlichen Anteil der Arbeiter in Österreich ausmachen. Die voestalpine, als einer der größten Stahlproduzenten Europas, beschäftigt in Österreich (ohne Lehrlinge und Leihpersonal) 46.000 Arbeiter, die ÖBB 42.000 und die Strabag über 11.000. Der Autohersteller Magna beschäftigt alleine am Standort Graz 9.500 Arbeiter, Swarovski in Tirol 6.600, BMW über 4.400 und Siemens knapp 9.000. Sehen wir uns auch Beispiele aus den Handelsketten, den großen Lebensmittelmonopolen an, so sehen wir die enorme Anzahl der Arbeiter im Handel: Spar beschäftigt alleine in Österreich 50.000 Menschen und REWE Austria knapp 46.000. Hierbei sollte die rechtliche Teilung, wie sie oft verwendet wird, in „Arbeiter“ und „Angestellte“ nicht täuschen. Die Supermarktkassiererin bei Spar ist genauso notwendig für den Kapitalisten um seinen Profit zu realisieren, wie die Arbeiter in der Lebensmittelproduktion. Die Unterscheidung von „Arbeiter“ und „Angestellten“ hat oftmals den Zweck die Arbeiterklasse zu trennen, und ihre vereinten, gemeinsamen Interessen zu vernebeln. Damit soll verhindert werden, dass sie sich zusammenzuschließen und gemeinsam zu kämpfen. Ebenfalls soll die Bezeichnung von „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“, welche auch von der SPÖ vertreten wird, Verwirrung unter den Arbeitern stiften. „Arbeitnehmer“, also Arbeiter und Angestellte, müssen ihre Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufen, sie „geben“ also ihre Arbeitskraft. Die Unternehmer hingegen kaufen die Arbeitskraft für einen bestimmten Lohn, sie „nehmen“ sie also. Das ist das richtige Verhältnis. Der Profit landet bei den Unternehmern, nicht bei den Arbeitern, welche die Arbeit verrichten und Werte schaffen.
Dass es die Arbeiterklasse nicht geben würde, ist ein altes Märchen, dass durch Bohrn-Menas Theorien neu aufgewärmt werden soll. Will die Arbeiterklasse ihre Interessen vertreten, Verbesserungen erkämpfen und auch Einfluss auf die politischen Belange und die politische Macht im Staat haben, so muss sie solche Theorien zurückweisen und sich klares Bewusstsein über ihre Lage schaffen.
(1) Die neue ArbeiterInnenklasse, 3. Auflage, S. 19/22
Quelle: Veronika Bohrn-Mena: Die neue ArbeiterInnenklasse
Bildquelle: Rote Fahne Archiv
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