Interview mit der antirassistischen Organisation CAGE Austria
- Redaktion Die Rote Fahne
- vor 8 Stunden
- 7 Min. Lesezeit
von der Redaktion der Roten Fahne

Die Rote Fahne: Wir freuen uns, mit euch dieses Interview führen zu können. Wir denken, diese Zusammenarbeit und der Austausch ist sehr wichtig, für den gemeinsamen Kampf um die Verteidigung der demokratischen Rechte und der internationalen Solidarität.
CAGE: Danke euch für die Gelegenheit, dieses Interview geben zu können. Wir denken auch, dass diese Zusammenarbeit sehr wichtig ist.
Die Rote Fahne: Könnt ihr euch kurz vorstellen? Was ist das Ziel von CAGE Austria und warum habt ihr euch gegründet?
CAGE: CAGE Austria ist aus der Initiative ACT-P entstanden – das stand für „Assisting Children Traumatized by Police“. Diese Initiative wurde eine Woche nach der Operation Luxor 2020 ins Leben gerufen, als Reaktion auf die massiven Menschenrechtsverletzungen, die besonders muslimische Familien betroffen haben. Unser Ziel war es von Anfang an, diese Repressionen zu dokumentieren und sichtbar zu machen.
Aus dieser Arbeit heraus wurde klar: Österreich braucht eine eigene Struktur, die systematische Islamfeindlichkeit beobachtet, Betroffene unterstützt und politisch gegen diesen staatlich legitimierten Rassismus arbeitet. So wurde CAGE Austria als Teil der internationalen NGO CAGE gegründet.
Seit Oktober 2023 führen wir auch das Muslim Palestine Network, das sich gezielt mit der Kriminalisierung von Palästina-Solidarität in Österreich befasst. Wir vernetzen muslimische Organisationen, um palästinabezogene Bildungs- und Advocacy-Arbeit zu leisten. Denn wir sehen Solidarität mit Palästina nicht nur als politisches, sondern auch als religiöses Anliegen: Der Einsatz gegen Ungerechtigkeit ist ein islamisches Prinzip.
Gerade in Österreich steht muslimischer Aktivismus massiv unter Druck – von Operation Luxor bis zu aktuellen Angriffen auf palästinasolidarische Stimmen. Wir setzen uns dafür ein, dass Muslime nicht länger eingeschüchtert oder entpolitisiert werden, sondern sich aktiv in gesellschaftliche Debatten einbringen können.
Die Rote Fahne: Einige von uns haben euren Bericht zur Operation Luxor, der sehr wichtig war, schon damals gelesen. Darin steht „die Operation Luxor wurde um 5:00 Früh gleichzeitig in über 70 Wohnungen in vier österreichischen Bundesländern durchgeführt, in einer koordinierten Aktion bei der 930 Kräfte mobilisiert wurden, einschließlich Polizei, Spezialeinheiten und Verfassungsschutzbeamten.“ Und weiter: „Das Attentat in Wien am 2. November 2020 wurde manipuliert um Angst zu schüren und einen Generalverdacht zu erzeugen – und hat dazu gedient die Operation Luxor zu legitimieren, obwohl es zwei komplett separate Operationen waren.“ Welche Auswirkungen hatte diese Verfolgungs-Operation für die Musliminnen und Muslime und für die österreichische Gesellschaft insgesamt?
CAGE: Die Auswirkungen auf die muslimische Community waren tiefgreifend – und sie sind bis heute spürbar. Viele Organisationen und Einzelpersonen haben sich nach den Erfahrungen mit der Operation Luxor aus dem politischen Engagement zurückgezogen. Die Repression hatte genau dieses Ziel: muslimische Stimmen zu marginalisieren, zivilgesellschaftliches Engagement zu kriminalisieren und damit politische Beteiligung zu unterbinden. Leider muss man sagen, dass dieses Ziel in weiten Teilen erreicht wurde – auch wenn viele der Verfahren am Ende eingestellt wurden.
Die Betroffenen standen unter enormem Druck: hohe Prozesskosten, eingefrorene Konten, soziale und berufliche Ausgrenzung. Und dann war da noch die massive Diffamierung – unter dem Generalverdacht des „Terrorismus“. Das ist ein sehr belastender Begriff, gerade wenn er vom Staat verwendet wird. Die Angst, durch Solidarität selbst in den Fokus zu geraten, hat dazu geführt, dass viele sich distanziert haben. Dadurch wurde nicht nur die Community verunsichert, sondern auch die Solidarität innerhalb der Zivilgesellschaft schwer beschädigt.
Und das hört nicht auf. Was wir aktuell erleben, kann man durchaus als eine Art „Operation Luxor 2.0“ bezeichnen. Ein Beispiel ist die Spendenorganisation Rahma Austria, die sich international für Geflüchtete engagiert – auch in palästinensischen Gebieten. Obwohl längst erwiesen ist, dass die damaligen Anschuldigungen haltlos waren, kam es im vergangenen Jahr zu einem massiven Eingriff: Rund 700 Spenderinnen und Spender wurden frühmorgens von der Polizei aufgesucht und befragt – eine Maßnahme, die nicht nur rechtsstaatlich fragwürdig ist, sondern auch dem Ruf der Organisation massiv schaden kann.
Ein sechsstelliger Betrag wurde im Mai eingefroren – obwohl es weder Beweise noch ein laufendes Verfahren gibt. Selbst nachdem Rahma vor Gericht Recht bekommen hat, wurden die Konten nicht freigegeben. Das zeigt deutlich: Es geht längst nicht mehr um die Durchsetzung von Recht – sondern darum, bestimmte Organisationen durch staatliche Mittel mundtot zu machen. Der Rechtsstaat wird instrumentalisiert, um zivilgesellschaftliche Akteure zu schwächen und einzuschüchtern. Das erzeugt ein Klima der Angst – und genau darin liegt die eigentliche Gefahr.Mittlerweile wurde die Organisation rechtlich vollständig entlastet. Der Verein kann seine Arbeit fortsetzen und verweist darauf, dass keine Beweise für strafbare Handlungen vorlagen.Die Ereignisse zeigen, dass Rahma Austria zu Unrecht kriminalisiert wurde – mit schweren Auswirkungen, insbesondere für Bedürftige, die auf die Hilfe angewiesen sind.
Die Rote Fahne: Ihr seid ja schon darauf eingegangen, wie sich mit dem derzeitigen Krieg und Völkermord in Palästina auch die Repression in Österreich gegen die Solidaritätsbewegung und Muslime erhöht hat. Zentrale demokratische Rechte werden damit ausgehöhlt und zerschlagen. Welche Entwicklungen sind hier besonders wichtig und gefährlich?
CAGE: Es ist tatsächlich bemerkenswert, wie schnell und entschlossen der Staat reagiert hat, als es um Palästina-Solidarität ging. Nur wenige Monate nach Beginn der Proteste kam es zur Verschärfung des Verbotsgesetzes – mit der offensichtlichen Absicht, Palästina-Solidarität unter Strafe zu stellen. Das ist eine dramatische Entwicklung: Persönliche Ausdrucksformen wie ein Button, ein T-Shirt oder ein einfacher Slogan könnten künftig als strafbar gelten. Das zeigt, wie weit die Gesetzesauslegung bereits geht und welchen gefährlichen Spielraum sie den Behörden gibt. Es geht hier nicht mehr um den Schutz, sondern darum, bestimmte politische Positionen zu unterdrücken. Die Gleichsetzung von Palästina-Solidarität mit nationalsozialistischer Ideologie ist nicht nur sachlich falsch, sondern gefährlich – sie stellt eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit dar.
Man muss sich vergegenwärtigen: Die Operation Luxor hat über Jahre hinweg versucht, ein angebliches Hamas-Netzwerk in Österreich zu entlarven – ohne Erfolg. Es gibt keine Hamas-Struktur in Österreich. Dennoch werden durch deren “Verbot” unter dem Vorwand des Terrors Menschen, die sich mit den Rechten der Palästinenser solidarisieren, kriminalisiert.
Und das bringt uns zu einem weiteren wichtigen Punkt: Nach internationalem Recht haben Palästinenser das Recht, sich gegen eine Besatzung zur Wehr zu setzen. Doch wenn man das in Österreich laut ausspricht, kann das strafbar sein. Es wird also versucht, eine legitime völkerrechtliche Position zu verbieten – und das geschieht nicht „neutral“. Die Akteure, die solche Gesetze verschärfen und umsetzen, handeln mit einer klaren politischen Agenda.
Wir haben das Recht – ja sogar die Pflicht – kritisch zu hinterfragen, was hinter solchen Maßnahmen steht. Wenn Organisationen wie die Hamas als terroristisch eingestuft werden, ist es legitim, zu fragen: Warum? Was bedeutet das für die Menschen, die unter Besatzung leben? Und welche Stimmen werden durch solche Einstufungen systematisch zum Schweigen gebracht?
Die Rote Fahne: Auch die Losung „From the river to the sea, Palestine will be free“ wurde zum Vorwand, um die Palästinabewegung zu verfolgen, obwohl der Inhalt dieses Slogans ein demokratischer ist und nichts mit Antisemitismus zu tun hat. Könnt ihr zur Kriminalisierung dieses Slogans etwas sagen? Auch, wie diese rechtlich funktioniert?
CAGE: Das Vorgehen der Polizei ist ein klarer Silencing-Mechanismus – ein weiterer Schritt in der systematischen Kriminalisierung von Palästina-Solidarität in Österreich. Es gibt keine rechtliche Grundlage diesen Slogan zu verbieten, und trotzdem werden Demonstrierende gezwungen, vorab zu erklären, dass sie diesen nicht äußern werden. Das ist eine massive Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.
Was hier passiert, ist eine Einschüchterung durch Kontrolle. Der abschreckende Effekt bleibt. Menschen beginnen, sich selbst zu zensieren, aus Angst vor Repression. Genau das ist das Ziel: kritische Stimmen gar nicht erst laut werden zu lassen.
Die Rote Fahne: Welche Rolle nimmt die die sogenannte „Dokumentationsstelle politischer Islam“ heute ein?
CAGE: Die „Dokumentationsstelle Politischer Islam“ ist ein staatlich finanziertes Projekt. Sie veröffentlicht alle paar Monate Berichte, in denen mit fragwürdigen wissenschaftlichen Methoden versucht wird, muslimische Organisationen in Österreich zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Es handelt sich dabei nicht um unabhängige Forschung, sondern um eine politische Beobachtungsstelle, die darauf abzielt, Muslime anhand ihrer politischen Haltung zu überwachen. Besonders problematisch ist, dass auf Basis dieser Berichte auch rechtliche Schritte eingeleitet werden können, was bei einigen Fällen auch passiert ist.
Im Kontext der Palästina-Solidarität erleben wir eine ähnliche Strategie: Organisationen wie der Wiener Verein Dar al Janub werden öffentlich diffamiert – mit dem Vorwurf der Nähe zu Terrorismus, basierend auf „Kontaktschuld“. Obwohl genau dieses Argument bereits im Rahmen der Operation Luxor vom Gericht als rechtlich unhaltbar zurückgewiesen wurde. Dass diese Art von Argumentation auf offiziellen Plattformen weitergetragen wird, zeigt wie gefährlich das Ganze ist. Auf der sogenannten „Österreichischen Islamkonferenz“ (von Mohanad Khorchide gegründet, welcher auch teil der DPI ist) wurde etwa zur Operation Luxor gesagt: „Auch wenn die Fälle geschlossen worden sind, heißt das nicht, dass es kein Problem gibt.“ Das ist rechtlich absurd – aber politisch wirksam. Es untergräbt den Rechtsstaat und ist Teil einer breiteren Strategie des „Silencing“: der gezielten Kriminalisierung und Einschüchterung muslimischer und palästinasolidarischer Stimmen in Österreich.
Die Rote Fahne: Welche Auswirkungen hat die Verfolgung von Musliminnen und Muslimen eurer Meinung nach für die österreichische Gesellschaft?
CAGE: Was wir derzeit beobachten, ist nicht nur ein Angriff auf Muslime – es ist ein Testlauf für autoritäre Instrumente, die später auf alle ausgeweitet werden können. Der Staat schafft sich hier Mittel, die er unter dem Vorwand der „Terrorabwehr“ oder des „politischen Islam“ legitimiert – aber diese Werkzeuge machen vor niemandem Halt. Dass sie heute gegen „die Anderen“ eingesetzt werden, schützt den Rest der Gesellschaft nicht davor, morgen selbst betroffen zu sein.
Wir sehen auch, dass selbst der Rechtsstaat und das Verfassungsgericht keine Garantie mehr bieten, wenn Grundrechte politisch ausgehöhlt werden. Und gerade deshalb ist es wichtig, nicht wegzuschauen, sondern aufzustehen und Solidarität zu zeigen.
Es wird oft das Narrativ eines „Kulturkampfes“ bemüht – als würde es um kulturelle Werte oder Religion gehen. Aber das lenkt vom Wesentlichen ab: Es geht um Macht, Kontrolle und um den gezielten Abbau von Grundrechten. Und das betrifft am Ende nicht nur eine religiöse oder ethnische Gruppe, sondern uns alle. Die soziale Komponente, also die Frage nach Ungleichheit, Ausgrenzung und Klassenmacht, wird dabei bewusst ausgeblendet – obwohl sie zentral ist.
Die Rote Fahne: Wir möchten euch sehr für das Interview danken. Wir wünschen euch viel Erfolg bei eurer weiteren Arbeit und freuen uns darüber, auch in Zukunft weiter im Sinne der Solidarität und der Verteidigung der demokratischen Rechte des Volkes zusammenarbeiten zu können!
CAGE: Auch wir wollen uns bedanken!
Eine Vertreterin von CAGE spricht auf der „Bundesweiten Palästinakonferenz" der ADRV im November 2024
Bildquelle:
Parlament Österreich, Gerd Eichmann, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0
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