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Petra G.

Olympische Sommerspiele und die Schattenseite der Medaille

Aktualisiert: 29. Juli



Geprägt von Korruptionsskandalen, Diskriminierung, Gentrifizierung, katastrophalen Arbeitsbedingungen zeigt sich das Sportevent von einer anderen Seite. In Pariser Vororten werden die Bewohner zwangsumgesiedelt, damit das Olympische Dorf entstehen kann. An den zahllosen Baustellen herrschen gravierende Missstände bei den Arbeitsbedingungen, welche sogar zum Tod der Arbeiter führen. Die Stadt wird von „ungewollten“ Einwohnern gesäubert und alles, was das Stadtbild negativ beeinträchtigen könnte, wird entfernt.



Im Mittelpunkt steht nicht der Sport, sondern Gewinn und Prestige


Die Olympischen Sommerspiele sind DAS Megaevent des Hochleistungssports. Paris ist bereits zum dritten Mal Austragungsort der Spiele und zum ersten Mal auch der Austragungsort der Paralympischen Spiele. In den vom 26. Juli bis 11. August 2024 dauernden Spielen, finden 329 Wettkämpfe in 41 olympischen und 20 paralympischen Austragungsorten statt. Diese befinden sich nicht nur in Paris, sondern auch in Nizza, Marseille, Lyon und anderen Städten, einer davon sogar in Übersee in Tahiti. Die Eröffnungsfeier findet mit 600 Booten auf einer 6 Km langen Strecke auf der Seine statt, mit den 206 Delegationen treffen 10.500 Athleten ein, zudem werden an die 15 Millionen Besucher erwartet. Laut offiziellen Angaben wurden mindestens 150.000 Arbeitskräfte vorübergehend beschäftigt, 1.900 Dienstleistungsunternehmen beauftragt und 5.000 lokale Sporteinrichtungen mit der nationalen Sportbehörde renoviert und zugänglich gemacht.



Jeden Tag sterben zwei Arbeiter auf französischen Baustellen!


Für den Bau der vielen olympischen Austragungsstätten und der dazugehörenden Infrastruktur wurden laut offizieller Seite mehr als 150.000 Arbeitskräfte vorübergehend beschäftigt, viele davon sind ohne legalen Status. Rund 700.000 Ausländer arbeiten in Frankreich ohne gültige Papiere. Sie kommen vor allem aus Algerien, Mali und dem Senegal und arbeiten in der Gastronomie, als Reinigungskräfte und auf Baustellen. Beim Bau der rund 70 Objekte für Olympia, mit einem Etat von etwa 4,5 Milliarden Euro, ereigneten sich 181 Arbeitsunfälle, 31 davon waren schwere Arbeitsunfälle. Zwar gibt es für die Olympischen Spiele den öffentlichen Auftraggeber SOLIDEO (Société de Livraison des Ouvrages Olympiques), der Sorge zu tragen hat, dass die „Sozialcharta“ eingehalten wird, von vielen Subunternehmern wird diese jedoch nicht eingehalten. Die „Sozialcharta“ wurde vor den Spielen durch das Organisationskomitee von Paris 2024 und seinen Partnern erstellt und von den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden unterzeichnet. In der Charta wird versprochen „gegen illegale Beschäftigte, wettbewerbsschädigende Praktiken und Diskriminierung vorzugehen, die Arbeitsbedingungen zu überwachen und prekäre Arbeitsverhältnisse einzuschränken“. Dennoch beschäftigen die vielen kleinen Subunternehmer immer wieder Arbeitskräfte ohne gültige Papiere. Mit diesen haben die Unternehmen leichtes Spiel. Nicht selten müssen die Arbeiter zehn oder elf Stunden ohne Pause schuften. Nicht selten kommt es zu Verletzungen und Verstümmelungen, die nicht gemeldet werden. Viele illegal Beschäftigte haben Angst ihre Rechte einzufordern, Angst fristlos entlassen und abgeschoben zu werden. Meist sind diese illegalen Arbeitskräfte bei Subunternehmen (die überwiegend in der Türkei registriert sind), beschäftigt, die sich plötzlich in Luft auflösen, sobald ein Problem auftaucht.


 

Tot eines Arbeiters wirf Schatten auf Paris


Amara Dioumassy starb vor einem Jahr auf einer der vielen Olympiabaustellen. Genauer auf der Baustelle am Bassin d‘ Austerlitz. Ein Projekt zur Verbesserung der Qualität der Seine, in der einige der Schwimmwettbewerbe stattfinden sollen. An der Baustelle gab es ernste Sicherheitsmängel. Es gab keine Schilder für Fußgängerwege, keinen Verkehrsfluss, die LKW´s gaben beim Rückwärtsfahren keinen Piepton, es gab niemanden der die LKW´s dirigierte. Am Ende seiner Schicht wurde der 51-jährige Dioumassy, Vater von zwölf Kindern aus Mali, von einem Lastwagen angefahren und verstarb.


Im Oktober letzten Jahres begannen mehr als 500 Arbeiter ohne Aufenthaltspapiere, die bei Bauprojekten für die Spiele bei 33 Unternehmen beschäftigt waren, einen Streik. Sie weigerten sich ohne den Erhalt ordnungsgemäßer Einwanderungspapiere und gesetzlicher Erlaubnis zur Arbeit in Frankreich, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Die sogenannten „Schwarzwesten“ besetzten unter anderem die „Adidas-Arena“ und haben durch ihren Kampf die versteckte Normalität auf den Olympiabaustellen öffentlich gemacht. Nach den Verhandlungen gelang es ihnen ihren Aufenthaltsstaus zu legalisieren.



Gentrifizierung


In einem der ärmsten Departements Frankreichs, in Seine Saint-Denis, entstand das Olympische Dorf, ein Olympia-Wasserpark und weitere Bauten Früher war die Gegend dominiert von den Citroen-Autowerken – hier wurde der legendäre „2 CV“ gebaut. Die Einwohnerstarken Vororte sind bisher vor allem wegen ihrer sozialen Probleme bekannt. Nun ist durch radikale Umgestaltung der Weg frei gemacht für moderne Gebäude, für von Bäumen gesäumte Boulevards und ruhige Wohnungen am Ufer der Seine – hier lebten aber bereits Menschen, einige von ihnen Jahrzehntelang – ihnen wurde gesagt sie müssen gehen. Sie hatten drei Monate Zeit, um ihr zu Hause zu verlassen. Die Olympia-Baugesellschaft SOLIDEO errichtete zwar temporäre provisorische Wohnanlagen, eine Rückkehr der Bewohner in ihre „alten Wohngegenden“ wird verwehrt. Ein Arbeiter meinte „Ich weiß nicht, ob das Pappe ist… das hält wirklich nicht lange“ (1) Die Olympischen Spiele werden als Vorwand genutzt, um das Viertel zu verändern und die Bewohner zu entfernen, die nicht mehr dort sein sollen. Freilich werden nach den Spielen die Wohnungen durch vier Immobiliengesellschaften, die das Gelände von der öffentlichen Hand gekauft haben, verkauft, leisten kann sich das die dort ansässige Bevölkerung aber nicht. Durch die vermeintliche „Aufwertung“ werden nach den Spielen auch die Mieten in der Gegend steigen und die ärmere Bevölkerung muss wegziehen. Paris räumt auf mit „unerwünschten“ Mitmenschen. Bei der Eröffnungsfeier auf der Seine sind zum einen die „Individuellen Neutralen Athleten“ von der Teilnahme ausgeschlossen, die Buch- und Bildhändler, die Traditionell an der Seine ihre Stände aufgebaut haben, wurden temporär verbannt. Zwischen Mai 2023 und Mai 2024 wurden insgesamt 12.545 obdachlose Menschen aus Paris und Umgebung in provisorische Zentren außerhalb der Region Paris gebracht, damit das Stadtbild bei den Olympischen Spielen nicht gestört wird. Durch die Zwangsumsiedlung müssen die Obdachlosen nun ohne ihre bewährten Hilfsnetzwerke auskommen, sie sind jedoch auf diese angewiesen.

 


Olympische Preise – und wer ohnehin draufzahlt


Tickets für U-Bahnen werden in der Zeit der Spiele annähernd das doppelte Kosten, die Preise für Übernachtungen steigen rapide. In einigen 4*Hotels kostet eine Übernachtung bis zu 1.000 Euro. Generell sind die Preise für Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr (26. Juli bis 11. August) um 70 Prozent gestiegen. Auch für Tickets ist tief in die Tasche zu greifen: 690 Euro für die Leichtathletik Finaltage, das teuerste Ticket liegt bei 980 Euro, das günstigste bei 24 Euro. Kein Wunder also, dass die Reservierungen bei Olympia 2024 die niedrigsten seit 25 Jahren sind.

Für das geplante Spektakel wurde alles Mögliche und auch „Unmögliche“ getan, um dem Streben nach Prestige, dem Streben nach größtmöglichem Gewinn nachzukommen. Um dies zu erreichen, werden unter anderem Korruptionsskandale unter den Teppich gekehrt, Arbeitsrechte ausgehöhlt, „Armut und Elend“ aus der Stadt verbannt… .


Die Verlierer der Spiele standen schon lange vor den Spielen fest. Diese Verlierer sind keine Athleten, diese Verlierer sind die vertriebenen Einwohner der Vororte, die den Renditeträchtigen Olympiabauten weichen mussten. Die Verlierer sind die zwangsumgesiedelten Obdachlosen, die nun ohne Hilfsnetzwerke dastehen, nur weil sie das „Bild der Stadt“ stören würden. Die Verlierer sind die Buch und Bildhändler, die ihre Stände räumen mussten, um Platz für das Publikum zu schaffen. Die Verlierer sind die Arbeiter, die für einen Billiglohn bei miserablen Sicherheitsbedingungen bis zum Umfallen schuften müssen. Verlierer sind jene die durch dieses System den Tod finden – so wie der Baustellenarbeiter Amara Dioumassy. Die Arbeiter und die breite Bevölkerung Frankreichs hat wenig bis nichts vom Prestige dieses Spektakels, im Gegenteil, zahlt sie den größten Preis.

 

(1) Euronews


Quellen:

Al Jazeera, Euronews, ORF, Verdi, DW


Bildquellen: 

Paris-Seine-Olympia, Marco Verch, CCNULL, CC-BY 2.0 

2024 Summer Olympics text logo, by Ramsal18, PD, via Wiki

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