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M.A.

„Schreckensherrschaft“: Korrespondenz eines Arbeiters von Steyr Automotive

Wir freuen uns folgende Zusendung eines Arbeiters von „Steyr Automotive“ (ehemals MAN Steyr) veröffentlichen zu können. Die Zusendung ist eine Anklage gegen die Zustände im Steyrer Werk seit der Übernahme von Siegfried Wolf, eine Anklage gegen die massiven Kündigungen und eine Anklage an von diesem Arbeiter als „Schreckensherrschaft“ bezeichneten Zustände, welche oftmals unter Schlagwörtern wie „Sanierung“, „Einsparung“ und „Umstrukturierung“ durchgesetzt werden. Wir denken, dieser Brief ist auf jeden Fall auch eine Anklage die gelesen und im Kopf behalten werden sollte! ( - Redaktion der Roten Fahne)


Sehr geehrter Herr Wolf,


als Ihr Mitarbeiter erlaube ich mir, diesen Brief direkt an Sie, ihre Vasallen in Steyr sowie an die Medien, politischen Organisationen etc. zu richten. Seit der Übernahme des ehemaligen MAN-Werkes in Steyr bin ich Ihr Mitarbeiter. Daher nehme ich mir die Freiheit, halbwegs chronologisch über Ihre Schreckensherrschaft zu berichten, Ihnen einige Fragen zu stellen, diese zu kommentieren und auch zu versuchen, auf solche Themen selbst Antworten zu geben.


Seit einiger Zeit sind Sie, Herr Wolf, „stolzer“ Besitzer des Werkes in Steyr. Damals, als wir eine Art „Volksbefragung“ in der Firma abhielten, war ich einer der Ersten, der für Sie bzw. für die Übernahmen durch Sie gestimmt hat. Und wissen Sie warum, Herr Wolf? Weil ich in Ihnen einen frischen Wind sowie einen Kämpfer für die Gerechtigkeit gesehen habe, bei dem ausschließlich die verrichtete Arbeit zählt. Nun ja, anscheinend habe ich mich da schrecklich getäuscht. Denn Fakt ist, dass Sie die Firma mit weit über 1.500 Mitarbeiter übernommen haben und jetzt aktuell (mit Tendenz nach unten) nur noch ca. 900 beschäftigen. Oder, Herr Wolf, täusche ich mich da? Ich bitte höflichst um Antwort!


Ich habe Ihnen auch geglaubt, als Sie sagten, dass Sie sich gerne unter die Arbeiter begeben, weil Sie ja selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen und zuerst eine Lehre absolviert haben (Anmerkung von mir: und das, bevor Sie anscheinend zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und die richtigen Personen kennenlernten). Also glaubte ich Ihnen wirklich, aber jetzt merke ich nur, dass Sie einen echt guten PR-Manager haben, der für Sie Texte schreibt. Denn wie oft sind Sie schon nach Steyr mit dem Hubschrauber geflogen? Wie oft haben Sie sich mit den Arbeitern in „Ihrem“ Werk unterhalten? Wie oft, Herr Wolf? Das kann man ja allein mit den Fingern beider Hände abzählen, man braucht nicht mal die Zehen dazu.


Damals, Herr Wolf, haben Sie ein Interview gegeben, in dem Sie der Frage auswichen, ob Ihre Übernahmen auch die Verpflichtungen von MAN gegenüber den Mitarbeitern beinhaltet. Sie, Herr Wolf, wichen dieser Frage wie ein schlauer Fuchs aus. So, jetzt frage ich Sie noch einmal: Müssen Sie diese Verpflichtungen einhalten oder nicht? Eine konkrete Frage fordert eine konkrete Antwort, Herr Wolf! Ich bitte Sie um diese! Nun ja, Sie werden wahrscheinlich meinen, nein, das müssen Sie nicht, denn Sie haben ja quasi ein neues Unternehmen gegründet, in dem Sie alles in Business Units aufgeteilt haben. Und was bedeuten diese Business Units, Herr Wolf? Bedeuten sie, dass Sie Stück für Stück das Werk, in dem schon unsere Vorfahren gearbeitet haben, zerlegen und verkaufen bzw. vermieten können, denn anscheinend zählt für Sie nur das eine, das sind Geldscheine, ohne Rücksicht auf das soziale Umfeld oder auf die Mitarbeiter.


Wissen Sie, Herr Wolf, Ihre wahre Herrschaft haben wir damals zu spüren begonnen, als Sie keine neuen Mitarbeiter in Steyr finden konnten und auf einmal über eine Leihfirma Arbeiter aus dem EU-Ausland importieren mussten. Haben Sie sich jemals gefragt, warum es sogar für die Leiharbeitsfirma so schwer war, damals aus der näheren Umgebung für „Ihr“ Unternehmen Arbeiter zu finden? Na ja, vielleicht lag es an Ihrem gepflegten Image, keine Ahnung. Herr Wolf, Sie haben damals nicht nur Arbeiter, sondern auch Menschen mit all ihren Bedürfnissen in für sie ein fremdes Land importiert, und was ist mit ihnen geschehen ein Jahr, nachdem sie da waren? Sie wurden, Herr Wolf, mir nicht, dir nicht einfach entlassen, wobei sie nicht einmal wussten, wie man auf Deutsch AMS schreibt, geschweige denn, wo diese Institution liegt. Bravo, echt menschlich und sozial fair!


Herr Wolf, ich dachte mir damals, dass dies das Ende sei und dass es tiefer für Sie und Ihre Vasallen nicht mehr gehen kann. Jedoch habe ich mich leider getäuscht, denn es ging noch tiefer. Als nächstes standen wieder Kündigungen im Haus, und diese wurden von der Gattin eines Ihrer Vasallen über Social Media verfolgt. Diese junge Dame, die sich anscheinend gedacht hat, dass sie sich immer noch auf Ex-sowjetischem Territorium befindet, wo das anscheinend normal ist, hat mehrere Sachen über soziale Netzwerke gepostet, und diese Posts gingen im ganzen Werk herum. In diesen Posts ließ sie sich auf den Seychellen gutgehen, zeigte sich mit Taschen und Kleidungsstücken, deren Wert weit über 40.000 €liegt, und posierte mit teurem Champagner. Also, ganz in Manier von russischen Oligarchen.


Wissen Sie, Herr Wolf, das Ganze stört uns in normalen Situationen wenig, denn wir brauchen all diese Sachen nicht. Wir brauchen keine teure Kleidung und extravagante Urlaubsziele, denn wir sind ja normale Arbeiter, die ab und zu nach Kroatien, Norditalien oder Kärnten fahren wollen. Wir sind keine Komplexhaufen, die für irgendetwas Bestätigungen in Form von Likes suchen müssen. Jedoch verpönen lassen wollen wir uns auch nicht, denn was wir brauchen, Herr Wolf, ist normale Entlohnung, ein wenige Sicherheit, faire Bezahlung und ein normales, soziales Umfeld, eigentlich das, was Sie nicht bieten wollen oder vielleicht nicht können?


Na ja, nach diesen Schocks verging wieder einige Zeit und wir bemerkten, dass fast nichts geschah. Im Unternehmen wurden keine oder fast keine Investitionen getätigt und das Ganze, um eine Parallele zu Ihrer Rede vor der Übernahme von damals zu ziehen, schaute es so aus, wie wenn man jemanden ein Flugzeug als Geschenk versprochen, aber nur ein Fahrrad gegeben hätte. Wissen Sie, man kann das nicht anders nennen, denn wie soll man sonst das, was Ihre Vasallen hier taten, beschreiben können? Ich meine, z.B. das mit dem Heizung-Abdrehen im Mai 2024 für drei Tage, wo die Durchschnittstemperatur draußen weit unter 0 Grad war, oder das Ausschalten von Kühlgeräten in den Wasserspendern, oder das Betteln um Büromaterial, Arbeitshandschuhe, Arbeitsschuhe etc. Herr Wolf, es schaut so aus, als ob sich Ihre ganzen Investitionen (bis auf die Photovoltaikanlagen auf den Dächern, wobei man sagen muss, dass sich die Leute fragen, ob diese überhaupt Ihnen gehören?) auf die drei T-Shirts, die wir von Ihnen bekamen, messen lassen.


Ach ja, in einem Ihrer zahlreichen Interviews sagten Sie damals, dass ein Spaziergang am Vormittag über einen Golfplatz herrlich wäre! Nun ja, das mag schon sein, ich weiß es nicht, denn die meisten Ihrer Mitarbeiter, mich eingeschlossen, haben bis jetzt nur Minigolfplätze gesehen, und diese sind auch sehr schön, glauben Sie mir. Denn wissen Sie, was am schlimmsten ist, Herr Wolf? Am schlimmsten ist, wenn man seine Abstammung und Verhältnisse, in denen man aufgewachsen ist, vergisst und sich später ein eigenes Universum erschafft, in dem man auf die Leute aus der Mittelschicht, aus der man selbst abstammt, herabwürdigend herunterschaut und sie nicht wie normale Menschen leben lässt. Ich erzähle Ihnen das, weil Sie genau das tun, Herr Wolf, ja das tun Sie, glauben Sie mir.


Um diese These zu untermauern, werde ich Ihnen jetzt ein paar Beispiele liefern. Als Sie unser Werk übernommen haben, sagten Sie, dass die Löhne um höchstens 20 % gekürzt werden und dass wir trotzdem Ihrer Mathematik nach in unserer Region besser dastehen werden als die meisten anderen Arbeiter. So, jetzt weiß ich nicht, woher Ihre damalige Statistik stammt und welche Werke Sie in diese einfließen ließen, denn Sie werden mir vielleicht zustimmten, wenn ich sage, dass man Werke mit einer Größenordnung von 300 Mitarbeitern nicht mit Werken vergleichen kann, die 2.000 Mitarbeiter haben. Sprich, in jedem Konzern verdient man mehr für die „gleiche“ Tätigkeit als bei Kleinunternehmen. Als Sie diese „Fachstatistik“ aufsagten, wurden Sie nicht mal rot dabei. Na ja, Ehre ist nicht jedermanns Sache, da kann man wohl nichts machen.


Aber zurück zu den Kürzungen: Also, diese wurden durchgezogen und nach drei Herbst-Lohnverhandlungen wieder aufgestockt. Und was haben Sie dann gemacht? Sie haben nach der letzten Erhöhung wieder die Löhne sinken lassen und das als „interne“ Kurzarbeit getarnt. Das Ganze wäre zu lachen, wenn es nicht allzu traurig wäre, denn bei der Kurzarbeit bekommen die Leute für die Dauer dessen einen Kündigungsschutz, was aber bei Ihnen nicht der Fall ist, denn die Leute wurden der Reihe nach entlassen. Bei diesen Entlassungen hieß es, dass Folgendes ausschlaggebende sei: die Höhe des Lohnes, Krankenstände usw. Jedoch, wenn es so ist, dann muss ich Sie mal fragen, wie es denn sein kann, dass manche aus der Führungsebene (ehemalige Modulleiter) trotz der Höhe ihres Gehalts und des langen Krankenstandes im Gegensatz zu „normalen“ Arbeitern nicht entlassen wurden? Ich bitte Sie an dieser Stelle um eine präzise Antwort!


Ich könnte noch viel mehr schreiben und die Gefühle der Arbeiter zum Ausdruck bringen bzw. ich könnte noch viel mehr über die Machenschaften erzählen, jedoch werde ich das für das erste Mal sein lassen und Ihnen nur noch ein paar kurze Sätze zur Anregung Ihres Gedankengangs mitgeben. Also, Herr Wolf, da Sie hier bereits alle Karten und Bonusse ausgespielt haben, bitte ich Sie höflichst, uns weiterzuverkaufen und zu verlassen. Und wenn Sie schon mal dabei sind, nehmen Sie bitte Ihren in Form von Ihnen eingesetzten „Stellvertreter“-Wanderzirkus mit. Die Welt ist doch groß, und ich bin mir sicher, dass Sie irgendwo in Kasachstan wieder willkommen sein werden.


Hochachtungsvoll,

MA – Steyr Automotive



Bildquelle:  Industriegebiet Steyr, Christoph Waghubinger CC BY 3.0

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